Zuhören

“Hast Du etwas Zeit für mich? Ich möchte Dir gern etwas erzählen, vielleicht benötige ich sogar  Deinen Rat”. Was für eine schöne Einladung zu einem Gespräch, in dem Vertrauen, Nähe und Wertschätzung bereits vorhanden sind und beide Gesprächspartner auf gute Weise in das Gespräch gehen werden.
Als soziales Wesen möchte jeder Mensch in seiner eigenen Natürlichkeit gesehen, gehört und angenommen werden. Im Laufe des Lebens kann es dabei zu Störungen kommen, weshalb das natürliche Bedürfnis von “Ich möchte Dir etwas (von mir) sagen”, “Ich möchte mit Dir in Kontakt treten”, “ich möchte, dass Du mir zuhörst” reduziert wird oder sogar ganz in den Hintergrund tritt.
“Ich habe Zeit für Dich, meine Ohren sind offen”, “Ich sehe, dass Dich etwas umtreibt, willst Du mir davon erzählen, ich werde Dir zuhören!” bestimmt kennt jeder diese Aussagen, viele sehnen sich vermutlich nach dieser gezeigten Bereitschaft zum Zuhören im privaten Bereich, denn häufig findet sich diese nur noch bei Therapeuten, Coaches und anderen Beratern, nicht aber bei Menschen im näheren Umfeld. Ist es auch bei Dir so?
Jedoch ist “zuhören” nicht nur auf das menschliche Miteinander bezogen. Wenn ich einen Spaziergang im Wald oder am See unternehme, dann kann ich bewusst der Natur zuhören, dem Rauschen des Windes, den verschiedenen Vogelstimmen in den Bäumen, vielleicht lassen sich sogar die Wasserbewegungen am See hören, wenn Enten oder Gänse darin planschen oder es lassen sich  andere Tiere bemerken, wie sie im Laub nach Samen und Beeren suchen?  Weiterhin gelingt ein Zuhören auch gegenüber sich selbst, wir kennen das aus unserem Alltag, dem Knurren des Magens, dem Herzklopfen, der inneren Weisheit, die uns vielleicht heute rät, besser den Schirm einzupacken uvm. Ein Zuhören ist wirklich in vielen Situationen möglich und nützlich.
Was ist nun aber mit dem eigenen Zuhören anderen gegenüber? Das von außen kommende Gespräch, das man selbst mitanhört beispielsweise beim Einkaufen, in der Straßenbahn oder auch bei einer Versammlung? Was ist, wenn dort Aussagen und Meinungen gemacht werden, die sehr konträr zur eigenen Ansicht oder der eigenen Überzeugung stehen? Eine Herausforderung, nicht wahr? Besonders dann, wenn plötzlich starke Gefühle bei mir selbst oder den anderen mit auftauchen.
Zuhören bedeutet in dem Fall tatsächlich “zu hören”. Es gibt Meinungen, Ansichten und Äußerungen, die einfach nur zu hören sind. Dann beobachte ich bei mir selbst, was sich tut, was sich verändert. Ich stelle mir vor, ich wäre mit diesem Menschen im Gespräch, er hätte mich gebeten ihm zuzuhören – und nur das. Ich habe also eine Information von der Person erhalten, die ich mir weiter anschauen kann oder auch verwerfe, stets im Wissen, dass es eine eigenständige Meinung ist – nicht mehr und nicht weniger. Als solches kann ich sie gut lassen, wie sie ist.
Zu einer Herausforderung wird es womöglich dann, wenn ich direkt und tatsächlich Gesprächsteilnehmer bin und mit sehr unterschiedlichen Meinungen konfrontiert werde. Da wird Zuhören dann zur Kunst. Ich höre das Gesagte und nehme zusätzlich automatisch die Körpersprache, den Tonfall, die Satzmelodie, die unterschwelligen Botschaften und die darauf transportierten Gefühle wahr.
Ich warte einen Moment ab, damit sich auch meine eigene Beteiligung, meine Betroffenheit, meine Begeisterung je nach Inhalt der Aussage, in Worte fassen lässt und ergänze oder erwidere das Gesagte des anderen. Niemand muss dabei im Recht sein, keiner muss hier der Intelligenteste sein, es geht nicht darum, jemanden überzeugen zu müssen oder zu verurteilen. All das, was im Alltag leider stets üblich ist und gelebt wird, soll hier im Kreis der Verbundenheit bewusst und entschieden kein Ziel sein. Und das geht, fragst Du Dich?
Schwer, und doch so leicht. Zuhören können und wollen und “zu hören” was mir jemand sagt, sind die Schlüssel und Türöffner zugleich für Gespräche mit einer ganz neuen Erfahrungstiefe im Miteinander.
Probiere es gern selbst, es wird Dich herausfordern und verblüffen. Aber es schafft auch soviel zwischenmenschliche Akzeptanz, Nähe und Verbundenheit.